| Georg Zundel über seine wissenschaftliche Tätigkeit Auszüge aus der Autobiographie GEORG ZUNDEL "Es muss viel geschehen!"   Forschung nach der Rückkehr aus Moskau
 Nach meiner Rückkehr aus Moskau folgte eine Zeit intensivster  Forschungstätigkeit. Meine neue Doktorandin Ilse Scheuing,  heute Frau Kampschulte, war die Enkelin des  Rechtsanwalts Scheuing, der das Testament meines Großvaters  verfasst hatte, was sie damals natürlich nicht wusste. Sie untersuchte im  Rahmen ihrer Doktorarbeit Infrarotkontinua, die von nichtwässrigen Systemen  verursacht werden. Sie fand, dass man bei den Systemen Toluolsulfonsäure-Alkohol  und Toluolsulfonsäure-Dimethylsulfoxid intensive  Infrarotkontinua beobachtet. Langfristig führte dies zu der Erkenntnis, dass  man bei allen Systemen mit B+H∙∙∙B
  B∙∙∙H+B Brücken,  wenn diese in amorpher Umgebung vorliegen, derartige Infrarotkontinua  beobachtet. Die Schwierigkeit bei diesen Untersuchungen bestand darin, diese  Systeme wasserfrei darzustellen, denn die kristalline Toluolsulfonsäure  enthält ein Wassermolekül pro zwei Säuremoleküle, das sich nur sehr schwer  entfernen lässt, da es über vier kräftige Wasserstoffbrücken mit der Umgebung  verknüpft ist. 
 Ilse Scheuing war sehr temperamentvoll.  Als wir einmal in Haisterkirch abends nach getaner  Arbeit zum Heiligen Sebastian wanderten, stritt sie sich mit Herrn Rast, einem  anderen Mitarbeiter. Es ist der Satz überliefert: „Jetzt hole ich den Brügel!!” (Lehrbuch der Infrarotspektroskopie von Brügel, einem Wissenschaftler bei der BASF). Meine erste  weibliche Doktorandin forschte oft bis tief in die Nacht. Der Zugang zu unserem  Institut war zufolge der Bauarbeiten nur durch einen langen, von Brettern gesäumten  Gang möglich. Diese Situation war jedoch – insbesondere da in Bahnhofsnähe –  nicht geheuer. So rief sie mich, wenn sie fertig war, an und ich kam dann, um  sie aus dem Institut zu retten.
 
 Als ich an einem Sonntagnachmittag ins Institut ging, um meine  Messreihen durchzuführen, verließ gerade Herr Maier, unser Hausmeister, das Institut.  Ich betrat eines unserer Labors und wer machte sich da zu schaffen? Ein  Einbrecher. Es war ihm geglückt, eines der kaputten Schiebefenster zu öffnen,  dann hat er den Verdunklungsvorhang aufgeschnitten. Er war gut vorbereitet,  denn er gab sich als Detektiv des Bauamts aus und erklärte, wir seien sehr  unvorsichtig. Wir unterhielten uns eine Weile. Als ich sagte, ich sei aus  Tübingen, entgegnete er: „In Stuttgart habe ich in der letzten Zeit auch  gearbeitet.” Schließlich schlossen wir zusammen das kaputte Fenster; er war  sichtlich geschickt. Darauf wünschte ich ihm noch einen schönen Sonntag und  komplimentierte ihn zum Institut hinaus. Zuvor habe ich ihn noch auf die  Gefahren eines Chemielabors hingewiesen, denn im Abzug neben der Labortür  standen Flaschen mit Chlorsulfonsäure und Phosphotrichlorid. Damit begossen, hätte er sein Leben als  Blinder beendigt. Dies als Warnung für alle Einbrecher in Chemielabors!
 
 Hans Metzger hatte für seine Messreihen kein geeignetes  Vergrößerungsglas, um die Spiegelskala abzulesen. Deshalb las er diese, zur  Erheiterung der anderen Forscher, von einem „Hochsitz“ aus mit einem Fernrohr  ab. Er untersuchte die Folien H2O und D2O hydratisiert. Seine Untersuchungen  ergänzte er durch Aufnahme der Adsorptionsisothermen mittels einer  Quarzfadenwaage. Ferner berücksichtigte er die Längenänderungen  der Folien, die in Abhängigkeit von der Feuchtigkeit auftraten. Auch führte er Coulombmetrische Mikrotitrationen  bei Bruno Sansoni aus, einem Dozenten der Universität  Marburg. Das bedeutete, dass auch ich gelegentlich dorthin fahren musste. Hans  Metzger wohnte auf dem Zeltplatz. Herr Sansoni hatte  große Schwierigkeiten an der Universität, denn Professor Huisgen  agierte von München aus gegen ihn. Eines Tages, als ich wieder einmal nach  Marburg kam, musste ich ihn in der Klinik aufsuchen, wo er wegen einer Gallenkolik darniederlag.
 
 In diesen Jahren verbrachte ich große Teile meiner Zeit mit  Doktoranden in Haisterkirch. Ich hatte meiner Mutter  ihre neue Sekretärin Inge Straub ausgespannt. Im Atelier fertigten wir die  nahezu zweihundert Spektrenzeichnungen für meine Habilitationsschrift und meine  Monographie an. Dies war sehr mühsam – die Spektren mussten  an einem Leuchttisch in die vorgedruckten Gerippe  übertragen werden. Hierbei mussten wir sie anhand der Eichkurven, die mit Hilfe  von Eichbandenhergestellt worden waren, zurechtrücken. Die Abweichungen  betrugen in der Nähe des Übergangs vom Prisma auf den Gitterbereich fünfzehn Wellenzahlen  und mehr. Die Zeichnungen breiteten wir auf dem Boden des Ateliers aus. Nach  einigen Ermahnungen trottete mein Hund Bambino, das Ungeheuer, mit großem  Respekt um sie herum.
 
 Um 3200 cm-1 beobachteten wir eine Bande. Sie hat bei Hans Metzger und mir in Haisterkirch eine Erkenntniskrise ausgelöst, denn sie lag  bei sehr viel kleineren Wellenzahlen als die entsprechende Bande bei flüssigem Wasser.  Genau dort absorbieren aber auch die Ammoniumionen. Damit  entstand der Verdacht, dass durch in der Laborluft anwesenden Ammoniak in den  Folien Ammoniumionen entstanden sein könnten, womit
  alle unsere Messungen natürlich unsinnig gewesen wären. 
 Voller Panik fuhren wir daher, mit unseren Folien in einem Exsikkator, nach München. Wir tauchten eine der Folien, die  die fragliche Bande zeigte, in destilliertes Wasser und trockneten sie rasch.  Die verdächtige Bande tauchte nicht auf. Somit waren keine Ammoniumionen  in den Folien vorhanden. Wir feierten diese fundamentale, rettende Erkenntnis und  den Geburtstag von Hans Metzger mit einem opulenten Mittagessen im türkischen  Restaurant am Oskar-von-Miller-Ring. Es gab Yogurtlu Kebab. Sehr beruhigt kehrten wir noch am selben Tag  nach Haisterkirch zurück. Leider existiert dieses  exzellente Restaurant nicht mehr. Als aufkam, dass es Hauptumschlagplatz für  Drogen war, wurde es geschlossen. Mit der Theorie ging es nur langsam weiter.  Wenn wir uns auch noch so scharfsinnige Gedanken machten, eine Erklärung für  das Kontinuum konnten wir nicht finden. Mit Erich Weidemann zeigte ich, dass  die Kopplung der Protonenfluktuation in zwei benachbarten B+H∙∙∙B
  B∙∙∙H+B Brücken zu Protonendispersionskräften führt. Erklären können  diese Kräfte die Kontinua jedoch nicht vollständig, denn wenn dem so wäre, dürfte  die Intensität der Kontinua nicht linear mit der Konzentration zunehmen; es  wäre vielmehr ein überproportionaler Anstieg der Intensität mit der  Konzentration zu erwarten, da sich erst mit zunehmender Konzentration mehr und  mehr Paare der Gruppierungen mit den Wasserstoffbrücken bilden. 
 Karl Zwernemann, geschickt von Theodor  Ackermann, stieß aus Münster kommend zu uns. Ihm war die Flucht aus der DDR  gelungen, denn er hatte Verwandte unmittelbar an der Elbe. Er schwamm durch die  Elbe und kam so in den Westen. Karl Zwernemann wurde  von einem der Assistenten von Herrn Ackermann sehr schlecht behandelt. Für  diesen Herrn rächte sich sein Verhalten jedoch, denn der recht tüchtige Zwernemann wurde später in der Industrie sein Vorgesetzter.
 
 Karl Zwernemann sollte basische  Ionenaustauscherfolien herstellen. Zuerst versuchten wir dies mit einem  Polyadditionsverfahren. Doch die Reaktion verlief so heftig, dass die Proben an  der Decke landeten. Nach umfangreichen Untersuchungen, an denen insbesondere  Herr Rüterjans, damals Assistent von Ackermann,  beteiligt war, ergab es sich, dass sich derartige Folien aus p-Dimethylaminostyrol  polymerisieren lassen. Diese Substanz war nicht käuflich, wir mussten sie selbst  herstellen.
 
 In Tübingen hatte ich Helmut Hempel, einen Architekten des  Universitätsbauamts, damit beauftragt, die Räume unter dem Atelier in Labors umzubauen,  dies in der Absicht, mich dort mit einem Auftragsforschungslabor selbständig zu  machen. Die Umbauarbeiten waren jedoch, als ich promovierte, noch nicht  abgeschlossen, so dass ich mich der Habilitation zuwandte, die im Jahre 1967  stattfand.
 
 In den fast fertigen Labors unter dem Atelier stellte ich im  August 1965, ausgehend von Patenten, Folien mit verschiedenen Anionen als Festionen her. Ich präparierte Polystyrolseleninsäurefolien  und oxidierte diese weiter zu Selenonsäurefolien. Der  Einbau der Phosphinsäure- und insbesondere der Thiophosphonsäuregruppen war eine gewaltige Stinkerei, da  sich dabei Phosphotrichlorid bzw. Thiophosphotrichlorid  entwickelt. Mein Ungeheuer, das ich manchmal aus Haisterkirch  mit nach Tübingen nahm, kläffte wütend am Baum vor dem Labor hoch, da es dort  eine intensiv duftende Mieze vermutete.
 
 In München traf ich mich häufig mit Adalbert Mayer im Café. Er  arbeitete am Institut von Professor Nikolaus Riehl an der TU über die  Protonenleitung im Eis. Herr Riehl war ein sehr origineller Typ. Er ist im  Baltikum aufgewachsen und hatte an der Universität Leningrad studiert. Nach dem  Krieg war er als Wissenschaftler nach Russland verschleppt worden. Er  bezeichnete diese Zeit als die beste seines Lebens. Er hatte dort, was sicher  für russische Verhältnisse sehr ungewöhnlich war, ein Auto mit Fahrer zur  Verfügung.
 
 Adalbert Mayer folgte später einem Ruf der Universität Bremen.  Diese Universität hatte jedoch damals eine Struktur, die keine erfolgreiche  naturwissenschaftliche Forschung ermöglichte, denn es gab keine Assistenten und  damit auch keine Teambildung.
 
 Entscheidende Erkenntnis: die Gruppierung H5O2+
 
 Die Umbauarbeiten am Münchner Institut machten große  Fortschritte. Als eines Tages die Wand hinter unserem Spektrometer  durchgebrochen wurde, packten wir das Spektrometer  sorgfältig in Plastikfolie ein. Ich fuhr mit Hans Metzger nach Haisterkirch, um mit ihm dort seine Doktorarbeit auszubrüten.  Er hatte eine große Anzahl umfangreicher Messreihen aufgenommen, die nun  verstanden werden mussten.
 
 Wir kämpften 1965 etwa ein halbes Jahr und kamen auf keinen  grünen Zweig. Wir versuchten, unsere Messergebnisse stets unter der Annahme in  Diagrammen aufzutragen, dass das Kontinuum durch die von Manfred Eigen  vorgeschlagenen H9O4+ Gruppierungen  verursacht ist [E. Wicke, M. Eigen und Th. Ackermann, Z. Physik. Chem. Frankfurt  1, 340  (1954)]. Die unter dieser Voraussetzung durchgeführten Auswertungen führten jedoch  zu keinen vernünftigen Grafiken, denn diese Annahme ist falsch. Die  Erkenntniskrise in Haisterkirch wurde schlimmer und  schlimmer. Selbst mein wissenschaftlicher Beirat, das Ungeheuer, war schon ganz  deprimiert. Im September kam uns eines Tages die Idee, dass man nicht von  Gruppierungen H9O4+, sondern  von Gruppierungen H5O2+ ausgehen muss,  um vernünftige Kurven zu erhalten. So konnten wir beweisen, dass im Fall wässriger  Systeme die Wasserstoffbrücke im H5O2+ das Kontinuum verursacht, dies, da  einerseits die Intensität der Kontinua proportional zum Dissoziationsgrad  zunimmt, und da andererseits die Dissoziation nur dann eintreten kann, wenn  zwei Wassermoleküle pro Überschussproton zur Verfügung stehen. Beide Ergebnisse  zusammengenommen liefern den Beweis, dass das Kontinuum durch die Gruppierung H5O2+ verursacht  ist.
 
 Diese Erkenntnis war der entscheidende Durchbruch, denn damit  hatten wir bewiesen, dass die Wasserstoffbrücke im H5O2+ besondere  Eigenschaften haben muss, die für das Verhalten wässriger saurer Systeme und  damit auch für die Entstehung der Kontinua entscheidend sind. Unsere Ergebnisse  veröffentlichten wir unter dem Titel „Energiebänder der tunnelnden Überschussprotonen in flüssigen Säuren. Eine  IR-spektroskopische Untersuchung der Natur der Gruppierung H5O2+“ [Z.  Physik. Chem. NF 58, 225-245 (1968)]. Wir schoben einen forschungsfreien Nachmittag  ein und machten einen Ausflug zum Wurzacher Ried. Das Ungeheuer ist bei diesem  Ausflug beinahe in Ried ertrunken, denn es ging baden und verhedderte sich  dabei in Schlingpflanzen. Auch am Rohrer See hatte das Ungeheuer stets  schrecklichen Ärger, denn wenn es an die Möwen heranschwamm,  flatterten diese auf, und es hatte das Nachsehen. Hierüber war das Ungeheuer  fürchterlich ergrimmt, Wau, Wau !
 [...] Die Entdeckung der Protonenpolarisierbarkeitvon Wasserstoffbrücken
 Nach meiner Habilitation nahm  ich neue Mitarbeiter in meinen Arbeitskreis auf: Georg Papakostidis,  Werner Seßler, Jörg Mühlinghaus  und Wolf-Dietmar Lubos.  Um etwas über die Wechselwirkungen  an den polaren Oberflächen der biologischen Membranen zu erfahren, untersuchte  mein Doktorand Georg Papakostidis Phospholipide.  Um Phosphatidylserin zu gewinnen, ätherte  ich mit ihm 50 kg Schweinehirn im funkengeschützten Labor der Pharmazie aus.  Bald darauf konnte man Phosphatidylserin kaufen.  Georg Papakostidis war bis zu seiner Pensionierung  bei BMW als Chemiker tätig.  Werner Seßler  untersuchte wässrige Lösungen von N-Basen in einem pKa  Bereich von 0,3 bis 11 in Abhängigkeit von der Protonierung.  Er fand Infrarotkontinua, die bei den Basen im höheren pKa  Bereich bei 50 % Protonierung der Basen maximal  intensiv sind, denn dies sind optimale Bedingungen für die Bildung  struktursymmetrischer N+H∙∙∙N  N∙∙∙H+N Brücken. Werner Seßler  arbeitete mehrere Jahre im EDV-Bereich des MPI und später als EDV-Organisator  bei Krauss-Maffei.
 Jörg Mühlinghaus  hatte bei Professor Kranz in der Physik sein Diplom gemacht und bewarb sich  anschließend bei mir um eine Doktorarbeit. Wir untersuchten zunächst, als  Ergänzung zu den Arbeiten von Werner Seßler, wässrige  Imidazollösungen und dann Filme aus Polyhistidin in Abhängigkeit von der Protonierung.  Histidin ist eine Aminosäure und damit ein wichtiger  Baustein der Proteine. Ich nahm an seiner interessanten Forschungsarbeit regen  Anteil. Wir bekamen analoge Ergebnisse wie Seßler.  Somit hatten wir die  ersten Wasserstoffbrücken in einem Modellsystem für biologische Systeme  gefunden, die ein IR-Kontinuum verursachen und damit Protonenpolarisierbarkeit  zeigen [Z. Natur-forschg. 26b, 546-555 (1971)].Jörg Mühlinghaus  ist heute als Patentanwalt in Karlsruhe tätig.
 
 Mit der Arbeit von Wolf-Dietmar Lubos begann ich ein neues Arbeitsgebiet. Er untersuchte Polynukleotide, Homopolymere sowie DNS und RNS als Filme  auf Scheiben aus polykristallinem Germanium. Wolf-Dietmar Lubos  fand eine Anstellung beim Bundesumweltamt der Stadt Köln. Seine Untersuchungen  setzte Klaus Kölkenbeck sehr erfolgreich fort. Darauf  komme ich zurück.
 Mit meinen Forschern machte ich  einen Betriebsausflug auf den Similaun. Wir  übernachteten in der Martin-Busch-Hütte (früher Samoarhütte)  und stiegen früh morgens zum Similaun auf. Martin  Busch hat durch mühevolle Verhandlungen bewirkt, dass die deutschen  Alpenvereinshütten in Österreich nach dem Krieg an den Deutschen Alpenverein  zurückgegeben wurden. Zum Abschluss unserer Tour gab es auf der Similaunhütte eine Spaghettiorgie und ein großes  Rotweinbesäufnis.  Der Ursache des Infrarot-Kontinuums auf der Spur  In den folgenden Jahren bemühte  ich mich mit Erich Weidemann um ein besseres Verständnis der Ursache der  IR-Kontinuumsabsorption. Wir diskutierten jede Woche einen Vormittag in Erichs  Büro in der Theresienstraße 39, jedoch nur mit geringem Erfolg. Um den  Mechanismus der anomal großen Protonenleitfähigkeit wässriger Säurelösungen  aufzuklären, mussten wir die Veränderungen des Gewichts der  Protonengrenzstrukturen des H5O2+ durch äußere elektrische Felder berechnen.  Kurz vor Weihnachten 1968 kam Erich abends in mein Büro mit dem zunächst sehr  erstaunlichen Ergebnis, dass Wasserstoffbrücken mit Doppelminimumpotential  durch Protonenverschiebung und Elektronen-verschiebung in die Gegenrichtung  Polarisierbarkeiten besitzen, die etwa zwei Größenordnungen größer sind als die  Polarisierbarkeiten, die durch Deformation von Elektronensystemen zustande  kommen. Zunächst dachten wir, dass wir bei diesen Berechnungen einem Artefakt  aufgesessen sind. In der folgenden Zeit verstanden wir jedoch dieses Ergebnis:  Bei Doppelminimumpotentialen sind die zwei untersten  Energieniveaus sehr benachbart. Damit kann durch ein äußeres elektrisches Feld  der erste angeregte, der antisymmetrische Zustand dem symmetrischen  Grundzustand leicht beigemischt werden, was zu einer asymmetrischen  Ladungsverteilung, d.h. zur Polarisation der Wasserstoffbrücken führt. Dies war  nach der Entdeckung des H5O2+ ein weiterer entscheidender Schritt zur  Aufklärung des Mechanismus der anomalen Protonenleitfähigkeit. Wir  veröffentlichten dieses Ergebnis in der Zeitschrift für Naturforschung im Band 25a, 627-634 (1970). Damit erklärte  sich fürs Erste das Zustandekommen der Kontinua, denn in einer Lösung liegt  eine breite Verteilung lokaler elektrischer Felder vor. Alle Wasserstoffbrücken  sind daher mehr oder weniger stark polarisiert, was zu einer breiten  Wellenzahlenverteilung der Energieübergänge führt. Weitere wichtige  Gesichtspunkte werde ich noch darlegen.  Um dieses Ergebnis mit einer  anderen theoretischen Methode zu bestätigen, nahm ich Kontakt mit dem  Quantenchemiker Professor Preuß vom Münchner  Max-Planck-Institut für Astrophysik auf. Er machte mich mit seinem Mitarbeiter  Rudolf Janoschek bekannt. Wir berechneten die  Eigenschaften des H5O2+ mit der self  consistent field (SCF)  Methode. Hierzu heuerten wir einen Doktoranden, Herbert Pfeiffer, an. Während  ich mit Erich an einem schönen Herbstnachmittag 1971 in seinem Garten in der  Söllereckstraße in Harlaching diskutierte, rief  Pfeiffer an: Auch die SCF-Rechnungen führten zu dem  Ergebnis, dass die Polarisierbarkeit der Wasserstoffbrücke im H5O2+ etwa zwei  Größenordnungen größer ist als Polarisier-barkeiten, die durch Verschiebung von  Elektronen zustande kommen. Damit war klar, dass es sich bei den extrem großen  Protonenpolarisierbarkeiten um einen realen Effekt handelt.  Unsere Ergebnisse  veröffentlichten wir in J. Amer. Chem. Soc. 94, 2387-2396 (1972). Die  Berechnungen eines Punktes der Potentialflächen benötigten damals noch 13-14  Stunden. Wir konnten sie nur nachts und an den Wochenenden durchführen, wobei  wir am Faschingswochenende unbegrenzt Rechenzeit zur Verfügung hatten. Die  Rechenstunde kostete zwar nur 45 DM, dennoch verursachte die Bezahlung dieser  Stunden einiges Kopfzerbrechen. Nachträglich wundert man sich, dass wir trotz  all dieser Schwierigkeiten derart interessante Forschungsergebnisse erhielten.Herbert Pfeiffer arbeitete nach  seiner Promotion bis zur Pensionierung in der Forschung bei Rodenstock in  München.
 Rudolf Janoschek  ging mit Professor Preuß nach Stuttgart. Unsere  gemeinsamen Berechnungen setzten wir fort, berücksichtigten nun jedoch auch die  Wasserstoffbrückenschwingung. Erich hielt sich hierzu für einige Wochen in  Stuttgart auf. Mit den Ergebnissen der dort durchgeführten Berechnungen trafen  wir uns in Haisterkirch und schrieben bei herrlichem  Wetter im Garten eine Arbeit mit dem Titel: „Calculated Frequencies and Intensities Associated with Coupling of the Proton Motion with the Hydrogen Bond Stretching  Vibration in a Double Minimum Surface”.Diese sehr wichtige  Veröffentlichung erschien in den Transactions of the Faraday Society II 69, 505-520 (1973).
 Professor Ludwig Hofacker,  Theoretiker an der Technischen Universität in München, war ein fanatischer  Gegner meiner Wissenschaft. Er griff mich vehement, ausschließlich mit  Emotionen und ohne Argumente an. Als ich einen Kolloquiumsvortrag hielt, gab es  anschließend einen geradezu mittelalterlichen Gelehrtenstreit.  Ende der sechziger und Anfang  der siebziger Jahre machte ich mit Nollers, mit  Tilmann Kleinsteuber und Helmut Knözinger  Skitouren, insbesondere auf die Gipfel von Tirol und diejenigen der Kitzbühler Berge. Von der Oberlandhütte stiegen wir bei  herrlichem Schnee aufs Brechhorn und auf den Schwarzenkogel.  Zu Pfingsten hielt ich mich mit Nollers auf der Sulzenauhütte auf. Wir hatten einmalige Abfahrten durch das  Gletscherspaltengewirr des Wilden Freiger und vom Zuckerhütel. Eine besonders schöne Tour machten wir auf den  Lisenser Fernerkogel. Im  Jahr bevor diese Gegend durch die Olympiade verwüstet wurde, gingen wir den  Kleinen Express vom Sellrain nach Innsbruck. Ich  erinnere mich noch, wie verlockend beim letzten Anstieg Rauch aus dem  Schornstein der Birgitzköpflhütte aufstieg.  Auf dem Rückweg von den  Skitouren kehrten wir in unseren Stammgasthäusern ein, so z.B. bei Kitzbühel in  der „Kuhwirtschaft“, beim Stanglwirt (das Gastzimmer  grenzt auch heute noch an den Kuhstall). Oft besuchten wir Gerlos  und stiegen von der Kühlen Rast aus auf das Seespitzl.  Am nördlichen Ende des Achensees kehrten wir dann in  der „Spießwirtschaft” ein. In Gerlos wohnten wir bei  der Rosa. Sie hatte etwas abseits vom Ort beim Aufstieg zum Seespitzel kleine  Bungalows, die ihr Mann baute. Den Wein bewahrte sie unter unseren Betten auf.  Sehr unvorsichtig! Dort schlossen die Nollers und ich  Freundschaft. |